vor einigen Tagen kramte ich ein altes Klassenfoto aus einer „Rumpelkiste“. Grund: Vor 50 Jahren wurde meine Klasse „ins Berufsleben“ entlassen – und ich wollte mit dem alten Bild Erinnerungen auffrischen, weil wir uns zum „50jährigen Jubiläum“ treffen. Bis auf unseren einstigen Mitschüler – Werner Vogt – siehe     Nr. 1 auf dem Bild – leben noch alle. Die Nr. 2 auf dem Foto bin ich selber. Ich war als „Spätentwickler“ der Kleinste aus der Klasse, schoß erst mit 16 Jahren in die Höhe. Nr. 3 ist Renate Mücke. Renate Mücke hatte einen bösen Stiefvater. Sie durfte keine Klassenfahrten mitmachen, bekam nur abgetragene Kleider, wurde geschlagen, herumgestoßen und zog sich mehr und mehr aus der Klassen-gemeinschaft zurück, weil sie sich wie ein Aschenputtel fühlte und deswegen schämte. 

 

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Ich selber war bei Renate Mücke als frecher Rotz-Junge immer hin- und hergerissen. Natürlich reizte mich der Name Mücke – und ich flötete „Summ, summ, summ – Mücke summ herum. Muck, Muck, Muck“. Sah ich sie aber allein auf dem Schulhof in einer Ecke stehen – dann tat sie mir unendlich leid, und ich ging demonstrativ zu ihr hin - und sprach mit ihr über belanglose Dinge. Und obwohl ich alles andere als ein Engel war, bat ich meine Mitschüler „offiziell als Klassensprecher“ darum: „Bitte, sprecht mit Renate. Sie hat ein schweres Leben – und ihr Stiefvater ist ein Sch…..-Kerl.“

Vor vier Wochen blätterte ich im alten Bremer Telefonbuch, suchte den Namen „Renate Mücke“……..und fand ihn. „Hier Mücke“…hörte ich ihre Stimme, die mir immer noch vertraut vorkam. „Renate. Ich bin es. Joachim“…..meine Antwort. „Joachim? Joachim Siegerist? Joachim, bis Du es wirklich?“ Sie war glücklich – und erzählte mir ihre ganze Lebensgeschichte und alles über den schlimmen Stiefvater, der nicht mehr lebt. Er zerstörte ihre Kindheit und Jugend. Renate will vergessen, hat eine eigene Familie, ihren Namen „Mücke“ behalten sich ein neues Leben aufgebaut…..und ich konnte sie bereden, zum 50jährigen Klassen-Jubiläum zu kommen. Bremen. Restaurant „Ständige Vertretung“ in der alten Böttcherstraße.

Renate fühlte sich in unserer Klasse unwohl, weil sie irgendwie nicht dazugehörte – oder das zumindest so empfand. Sie litt unter ihren Plünn-Kleidern und auch darunter, daß sie 12 Monate im Jahr nur mit alten, gammeligen Gummistiefeln in die Schule gehen durfte. Gummistiefel – Stichwort für mich und eigentlicher Grund dieses Briefes an Sie: Nach der extremen Kälte in Lettland folgt jetzt in zwei bis drei Wochen die „Matsch-Periode“. Aufgeweichter Boden, Unmengen von Wasser durch aufgetaute Schneeberge (bis zu 3 Meter hoch) und schlechte Straßen. Morast, in dem die Menschen nicht laufen können oder bis zu den Knieen darin versinken.

Viele Kinder können in dieser Zeit wegen fehlender Gummistiefel nicht in die Schule gehen. Erwachsene können das Haus kaum verlassen. Viele Menschen haben ja nur ein Paar Schuhe – und die würden im Morast verderben. Meist ist die Qualität mies. China-Schuhe. Was sonst?

In Deutschland gibt es nur noch wenige alte Männer, die in der Deutschen Wehrmacht als Soldaten gedient haben. Nur die wissen eigentlich aus eigenem Erleben was Schlamm und Morast im Baltikum und in Rußland bedeuten. Das ist ganz, ganz schlimm. Es ist eisiger, zäher Schlamm, der die ganzen Beine umschließt und sie blau und rot anlaufen läßt. Oft bleiben die Menschen für Minuten im zähen Schlamm stecken. Und wehe dem, der keine Gummistiefel hat.

Die evangelische und die katholische Kirche in Lettland, mehrere Bürgermeister und die einstigen Sibirien-Deportierten haben mich gebeten: „Joachim, wenn Du kannst – bitte, hilf uns in diesem Jahr mit Gummistiefeln. Durch den extremen Winter und die Schneemengen wird der Morast in diesem Jahr besonders schlimm.“

Natürlich habe ich „Ja“ gesagt. Wir können in diesem Jahr hochklassige Gummistiefel mit leichten Farbfehlern zum Preis von 6,85 Euro bekommen. Dazu gibt es eine Thermo-Sohle für 1,90 Euro und spezielle Warmhalte-Socken für 2,30 Euro – reine Schafswolle.

Das ist extrem preisgünstig. Und wen stört es schon, wenn die Gummistiefel „Fehlfarben“ haben oder Farben, die sonst keiner kaufen wollte? Hauptsache trockene und warme Füße im Schlamm.

Was soll ich sonst sagen? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei der Gummistiefel-Aktion mithelfen könnten.

1000 Paar möchten wir kaufen – dazu 1000 Thermo-Sohlen und 1000 Paar Wollsocken.

Machen Sie mit? Schon mit einem einzigen Paar Gummistiefel – für Kinder und Erwachsene – würden Sie einem Menschen das Leben in Lettland sehr, sehr erleichtern.

Also – das Kramen in alten Schubladen hat doch etwas für sich. Man findet da manchmal Bilder, aus denen eine ganze, spannende und obendrein noch wahre Geschichte entsteht. Ich werde das bei unserem Klassentreffen allen erzählen – vor allem Renate Mücke. Und so wie ich mich kenne – ein wenig ärgern werde ich sie dann doch: „Summ, summ, summ – Mücke summ herum. Muck, Muck, Muck“.

Es gibt eben verrückte Menschen, die werden nie erwachsen……………..


Viele liebe Grüße 

 

Ihr
Joachim Siegerist


P.S. Werfen Sie nie alte Kleider und noch nicht abgelaufene Medikamente fort. Wir können alles in unserem „Sorgenbüro“ in Lettland gut gebrauchen, geben es direkt an die Bedürftigen. Dringend auch: Gebrauchte Kinderkleidung und Kinderschuhe!