Ein Lichtstrahl im Armenhaus

Wiener Geschäftsleute und Aktion Reiskorn helfen bedürftigen Deutschen in Siebenbürgen 

 

Drei Autos rumpeln über die Dorfstraße von Radeln im rumänischen Siebenbürgen. Die Straße ist eine Katastrophe aus Schlaglöchern und Matsch, es regnet, und die Fahrer sind müde. Sie sind seit 16 Stunden unterwegs – und sehr zufrieden. Nachts sind sie in der vornehmen Mariahilfer Straße in Wien losgefahren. Und nun, im Schlammweg von Radeln, einem düsteren Dorf mit schmalen Häusern und einer Kneipe, haben sie ihr Ziel erreicht. 16 Stunden von der Ersten in die Dritte Welt. Und doch mitten in Europa.

Und plötzlich gab es
eine große Spenden-Flut

Das Empfangskomitee steht schon vor dem letzten Haus in der Straße, es ist das Armenhaus des Dorfes: Die Geschwister Anna-Maria (7), Alexander (9) und ihr großer Bruder Martin Fernolend (16) – der Konfirmand ohne Schuhe. Der Bericht über ihn rührte die Herzen der Mitglieder von Aktion Reiskorn. Viele entschlossen sich zu spontanen Spenden. Und manche zu tätigem Handeln. Kommerzialrat Walter Bachofner (70) aus Wien, Obmann des Vereins der Kaufleute der Mariahilfer Straße, sagt sich: „Da mußt du tun, was in Deiner Macht steht.“ Und das ist nicht wenig. Bachofner informierte seine Freunde und die Mitglieder des Vereins. „Plötzlich brach eine Spendenflut über uns herein“, sagt der Chef des vornehmen Wiener Café Ciro. Kiste um Kiste wurde bei ihm abgegeben, gefüllt vor allem mit Kleidung aller Größen, aber auch mit Spielsachen. Bachofner plante kurz entschlossen einen Mini-Hilfskonvoi nach Siebenbürgen, vor Ort begleitet und betreut von Aktion Reiskorn.

Ein Traum: Fahrrad
mit Gangschaltung

Den drei Geschwistern gehen die Augen über, als die sauberen, schmucken Kleider zum Vorschein kommen, die warmen Windjacken, die Spielsachen und auch einige Süßigkeiten. Der Clou sind zwei gebrauchte Fahrräder mit Gangschaltung für die Jungs – eine unerhörte Technik auf der Dorfstraße von Radeln. Martin, der Konfirmand, erhält ein neues Paar schwarzer Halbschuhe, die passen wie angegossen, dazu einen schicken Konfirmationsanzug: sein Herzenswunsch, vor einigen Monaten noch unerreichbar. Und um das Maß vollzumachen, tritt Walter Bachofner auf Martin zu und überreicht ihm einen schmalen, kleinen Karton mit den Worten: „Ein richtiger Konfirmand braucht auch eine richtige Uhr.“ Überflüssig zu sagen, daß Martin noch nie eine eigene Uhr besessen hat.

Daß ihre Hilfe am rechten Ort ankommt, merken die Wiener spätestens, als sie das Loch unter der Stiege betreten, in dem die Witwe Sunhild Fernolend mit ihren drei Kindern hausen muß: Eine verräucherte Stube von vier mal vier Metern mit niederer Decke, gestampftem Lehmboden, einem alten Sofa und einem Tisch. Dazu in der Ecke ein ausgedienter Kühlschrank, der als Kommode fungiert. „Ich habe mir eine solche Armut nicht vorstellen können“, gesteht eine von Bachofners Begleiterinnen mit erstickter Stimme. „Wir werden hier weiter helfen.“

Simple Schuhe fehlten
zur Konfirmation

 

Dazu hat sich auch Aktion Reiskorn längst entschlossen: Seit April erhält die Familie einen monatlichen Zuschuß von 100 Euro. Geld, das vor allem Martin zu einem Schulabschluß und späterer Ausbildung verhelfen soll – und damit der Familie eine Perspektive gibt. 

 

 


Drei Wochen nach dem Besuch der Wiener: In Radeln läuten die Glocken, es ist Palmsonntag. Die Konfirmanden schreiten in Begleitung ihrer Familien zur Dorfkirche. Im Gottesdienst treten sie an den Tisch des Herrn, um ihre durch die Taufe erhaltene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Christen zu bestätigen. Alle Konfirmanden sind schick gekleidet, mit neuen Schuhen, Hemd und Anzug. Auch Martin, der Bub aus dem Armenhaus.
 

 

 

 

 


P.S. Die „Aktion Reiskorn“ wurde 1983 von Joachim Siegerist gegründet. Damals war er junger Chefreporter der HÖRZU. Das Startkapital gab Box-Weltmeister Max Schmeling. Die „Tageschau“ berichtete damals groß.